Meine Visionen für das Leben in der Schweiz im Jahr 2050

17. Okt 2010

Wie lange lässt sich die heutige globale Erdölproduktion noch aufrecht erhalten? Und wie sieht die Energiezukunft der Schweiz aus? Die Association for the Study of Peak Oil (ASPO) diskutiert diese Fragen mit Experten an einer öffentlichen Tagung.

Detailprogramm hier.

Wer heute über 50 ist, wird vermutlich nur noch knapp erleben, was ich heute erzähle, denn Sie sind 2050 über 90. Aber Sie spielen trotzdem eine Hauptrolle in meinem Szenario, denn Sie sind die Entscheidungsträger heute, die dazu beitragen können, meine Visionen zur Realität zu machen. Ich versuche heute aus der Perspektive einer 70-jährigen zu sprechen, denn 2050 werde ich in diesem Alter sein.
Und die unter 50-jährigen, die zähle ich alle zusammen zu den Jungen, die im eigenen Interesse alles daran setzen sollten, meine Vorschläge umzusetzen, denn sie werden dann noch ein paar Jährchen vor sich haben und ihren Grosskindern Rechenschaft ablegen müssen. Wenn ich heute Recht habe, wird es sich 2050 gut anfühlen, 70 zu sein.


Meine Visionen für das Leben in der Schweiz im Jahre 2050

2050 wird der Mensch nicht besser sein, als heute. Diese Illusion habe ich mit 27 nicht mehr. Aber er wird gescheiter sein. Er wird viele technische Möglichkeiten gefunden haben, sich auf die neue Energiesituation einzustellen. Er wird politische Weichenstellungen getroffen haben, weil der Leidensdruck genug gross geworden ist. Er wird auf die Energiekrise reagiert haben, weil ihm gar nichts anderes übrig geblieben ist, um zu überleben.

Was ich Ihnen nun erzähle sind zwar Visionen. Aber es sind realisierbare Visionen. Als Politikerin bin ich es gewohnt, zu sagen, was ich will und dann lange darauf zu warten bis es Realität wird. Aber warten heisst nicht untätig sein, warten heisst in diesem Fall die Voraussetzungen dafür schaffen, den Boden bereiten. Alles was ich Ihnen präsentiere ist realisierbar.
Ob wir es wollen und uns einen Plan dazu erstellen, damit wir wissen wohin wir gehen oder ob wir zuerst abstürzen und dann den anderen die Schuld geben, spielt keine Rolle. Wer ins Meer fällt, wird schwimmen. Und so wird auch der Mensch die Energiekrise meistern. Die Frage ist, wie schmerzlich sie ihn trifft.

Zum Thema: Wie hier, wird in gesamt Europa eifrig über den Umstieg auf erneuerbare Energien nachgedacht. Die Qualität der Diskussion hat sich in jüngster Zeit allerdings verändert. Eine Vielzahl von Studien renommierter Institute (z.B. Pricewaterhousecoopers, European Renewable Energy Council), untermauern die These, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien nicht nur machbar, sondern auch kostengünstig ist. Dies ist schon mal eine gute Voraussetzung für eine Vision der Energiesituation 2050.


Atomkraft ist 2050 erledigt

Meine Vision beginnt mit der Ausschaltung der grössten Gefahr, welche die Menschheit je produziert hat: der Atomkraft. 2050 ist die Atomkraft erledigt. Wer in den nächsten 10 Jahren noch AKWs bauen will, wird irgendwann damit aufhören, weil er es nicht mehr finanzieren kann. Atomkraftwerke sind ein Auslaufmodell, auf das in wenigen Jahren niemand mehr setzen wird. Wer heute auf Erneuerbare Energie setzt, verschafft sich auch einen wirtschaftlichen Vorteil. Einige haben das bereits gemerkt und so hat z.B. der Kanton Basel-Stadt ein äusserst fortschrittliches Energiegesetz, das sein Energieunternehmen, die IWB, dazu verpflichtet 100% erneuerbaren Strom zu produzieren. Die IWB wird damit zu einem der führenden Unternehmen in diesem Bereich und investiert bereits heute in zukunftsfähige Technologien und Projekte.

2050 wird die Atomkraft also erledigt sein: Die Gesellschaft will dieses Risiko und die enormen Kosten nicht mehr tragen. Auch wenn das Nuklearforum Schweiz immer noch behauptet, die Bevölkerung wolle Kernenergie: Die Aufmärsche in Kopenhagen und aktuell in Berlin zeigen, dass das nicht stimmt!
Sogleich kommt aber die Frage: Woher kommt dann unsere Energie in Zukunft?

Wir sprechen beim Energieverbrauch ja nicht nur von Strom. Am Endenergieverbrauch hat Elektrizität ca. ¼ Anteil, neben v.a. Gas, Treibstoffen und Öl. Strom können wir aber ökologisch herstellen. Ziel muss es sein, den Energieverbrauch zu reduzieren (=Suffizienz), gleichzeitig effizienter zu werden und den unökologischen Teil durch saubere Energie zu ersetzen. Keine AKWs mehr heisst demnach, dass wir die heutige Stromproduktion der AKWs ersetzen müssen mit Alternativen. Dazu kommt aber der Rest der Energie, den wir ebenfalls ökologisch herstellen müssen. Das bedeutet in Zukunft ein Verzicht auf Öl, Gas, Kohle, etc.
Die Frage nach dem künftigen Energiebedarf ist dabei nicht unwesentlich. Der Energieverbrauch steigt seit Anfang des letzten Jahrhunderts stetig und massiv an. Ziel muss es sein, die Kurve möglichst abzuflachen und von den 5-6000 Watt pro Person auf 2000 zu kommen. Wir reduzieren also den Verbrauch um mindestens einen Drittel und ersetzen den unökologischen Teil der Energie mit ökologischer. Meine zweite Vision lautet deshalb: Wir verbrauchen 2050 nur noch 2000 Watt saubere Energie pro Person.


Heisst Wohlstand Energieverbrauch?

Aber wie soll das gehen – Reduktion des Verbrauchs und ökologische Herstellung? Heute ist der Energieverbrauch stark an das Wirtschaftswachstum gekoppelt. Somit heisst Wohlstand auch Energieverbrauch. Um zu einer nachhaltigen Entwicklung zu kommen, müssen diese beiden Werte entkoppelt werden. D.h. weniger Energie verbrauchen und Technologien für die Herstellung saubere Energie – gleichzeitig aber kein Wohlstandsverlust, sondern Umgewöhnung. Die Potentiale dazu haben wir in der Schweiz.

Die publizierten Werte lassen sich verschiedenen offiziellen Studien entnehmen. Es besteht in der Schweiz gesamthaft ein zusätzliches Stromerzeugungspotenzial von rund 50'000 bis 60'000 GWh/Jahr, wobei allein die Photovoltaik einen Drittel des heutigen Verbrauchs auf bestehenden Dächern decken kann. Der gesamte Verbrauch – sogar ein Verbrauchswachstum - und die bisherige Stromerzeugung aus Atomkraftwerken in Höhe von rund 25'000 GWh liessen sich somit voll mit erneuerbaren Energien ersetzen.

Diverse Gemeinden nutzen diese Potentiale bereits und bauen ihre eigene Energieversorgung auf. Dezentrale Energieversorgung oder Energieautarkie nennen wir das. Beispiel ist die Stadtgemeinde Güssing (AU), das auf seiner Website so wirbt: "…und Güssing ist vor allem eines…eine inzwischen über die Grenzen des Landes hinaus bekannte Ökostadt, die den Großteil ihres Energiebedarfes mit Erneuerbarer Energie abdeckt." (http://www.guessing.co.at)

Die Politik kann dazu Anreize setzen Z.B. mit Förderabgaben (z.B. Stromsparfonds in BS, 5% Zuschlag auf Strom, 10 Mio. Fördermassnahmen), Lenkungsabgaben, Modellen wie der Basler Solarstrombörse und indem Energie und Umweltbelastung statt Arbeit besteuert werden – eine ökologische Finanzreform. Dass eine ökologische Wirtschaft möglich wäre, sagen heute auch Wirtschaftsexperten, z.B. Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er untersucht u.a. das Phänomen des Wachstums. Die Notwendigkeit zum Wachstum ist heute fast unbestritten, obwohl Glück und Zufriedenheit der Menschen nachgewiesenermassen nicht mit Einkommenszuwachs zunimmt.
Unser heutiges Wirtschaftssystem funktioniert nur mit Wachstum. Dieses Wachstum hat zur Folge, dass immer mehr Energie verbraucht wird, immer mehr Umwelt verschmutzt wird, die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinander geht – also in allen Bereichen alles andere als nachhaltig ist. Warum ist das so? Eine Erklärung sind die Tretmühlen des Glücks (s. Binswanger): Jemand verschafft sich einen Vorteil auf Kosten der anderen. Z.B. kauft er einen Offroader, weil er sich sicherer fühlt darin. Daraufhin kaufen die anderen auch einen, weil sie ja durch den Offroader des ersten stärker gefährdet sind. Und so hat der erste keinen Vorteil mehr und alle stossen viel mehr Schadstoffe aus. Diese Entwicklungen sind wie Tretmühlen. Wir kommen damit nicht weiter, wir stehen immer wieder am selben Ort – aber wir verbrauchen mehr. Eine nachhaltige Entwicklung wird dadurch verunmöglicht.
Solche Mechanismen können – ja sie müssen – in Zukunft gestoppt werden. Mit Anreizen, mit Lenkung und mit Standards. Meine nächste Vision deshalb: Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum sind entkoppelt.


Der Energiepreis

Wenn Energie und Umweltbelastung statt Arbeit besteuert werden, werden die Energiepreise steigen – der wahre Energiepreis kommt zum Vorschein. Heute bezahlt niemand den wahren Energiepreis. Umweltverschmutzungen (wie der Golf von Mexico), Transport, Risiken sind alle kaum oder nicht einberechnet im Energiepreis.

Diese anfallenden Kosten trägt dann die Allgemeinheit, das ist nicht fair. Es braucht ein gerechtes und vor allem transparentes Preissystem, das alle Faktoren einbezieht.
Das wird kommen und hat bereits begonnen: Die Preise haben sich im Vergleich zu den 90er-Jahren bereits ungefähr vervierfacht. Die Gemeinschaft wird in Zukunft nicht mehr bereit sein, die Dreckschleudern der anderen zu bezahlen, die Risiken der Unverantwortlichen zu tragen und Verschmutzung der anderen in Kauf zu nehmen. Meine Vision: Energie wird zu einem wertvollen Gut. Der heutige verfälschte Preis wird zum wahren Energiepreis. Die 2000 Watt-Gesellschaft ist ein realisierbares Ziel. Aber sie kommt nicht von alleine. Wenn wir von Senkung des Energieverbrauchs sprechen, ist der Gebäudesektor ausschlaggebend. Meine vierte Vision ist deshalb: 2050 sind alle Häuser energetisch saniert oder 0-Energiehäuser. An einem Anlass hat kürzlich Frank Junker, Vorsitzender der Geschäftsführung ABG Frankfurt Holding GmbH über seine Erfahrungen mit Passivhaustechnologie gesprochen. Es ist faszinierend, was bereits heute möglich ist. Wohnblöcke aus den 50er-Jahren, die total saniert werden und auf einen Bruchteil des Energieverbrauchs kommen.
Dank neuen Vorschriften konnte sich in der Schweiz der Baustandard Minergie durchsetzen. Basel-Stadt hat seit 2008 den Minergiestandard für Neubauten im Energiegesetz festgelegt. Er bedeutet, dass der Energieverbrauch in neuen Gebäuden um einen Faktor 5 bis 6 reduziert wird im Vergleich zu Bauten vor 1975. Das bedeutet für die ganze Schweiz ein enormes Einsparpotential.


Der Reboundeffekt

Bei der Effizienzdebatte kommt aber immer auch die Rebounddiskussion. Als Reboundeffekt wird bezeichnet, wenn die eingesparte Energie an einem anderen Ort wieder verbraucht oder kompensiert wird. Beispiel schnellere Züge: Leute sind durchschnittlich zu einer Stunde Arbeitsweg bereit. Wenn der Zug von Basel nach Bern eine Stunde hat, arbeiten die Pendler in Bern. Wenn er aber plötzlich auch nach Brig nur noch eine Stunde hat, arbeiten sie auch dort. Damit wird der Zeitgewinn, den man mit schnelleren Transportsystemen erreichen könnte, rückkompensiert und eigentlich keine Einsparung gemacht. Oder Beispiel Energie: Wenn der Laptop viel energiesparsamer ist, kann ich ihn dafür immer laufen lassen. Die eingesparte Energie wird gleich wieder verbraucht. Damit das nicht passiert, braucht es eben wirkliche Lenkungssysteme. Wenn das Bahnticket z.B. nach der Distanz berechnet wird, gibt es einen Anreiz, trotzdem nur nach Bern zu fahren. Wir müssen schauen, dass wir wirkliche Entwicklungsschritte machen und nicht in alten Mustern hängen bleiben. Der Verkehr Auch hier wird enorm viel Energie verbraucht. Bis heute aber kaum Strom, sondern Treibstoffe, also meistens nicht nachhaltige Energieträger. Meine Vision in diesem Bereich: Keine Dreckschleudern mehr auf der Strasse, sparsame Autos sind selbstverständlich und es gelten auch dort Effizienzstandards, wie das heute schon bei Elektrogeräten etc. der Fall ist. Die Offroader-Initiative der jungen grünen ist ein wegweisender Schritt dazu. Eine Ökologisierung im Verkehrssektor wird eine Verlagerung auf Elektrizität mit sich bringen. Der Umstieg auf elektrische Traktion wird weltweit erwartet. Für Deutschland zeigt das Prognos-Modell, dass der klassische Verbrennungsmotor bis 2050 verschwunden sein könnte, wenn die Weichen richtig gestellt werden. Elektrische Fahrzeuge mit erneuerbaren Energien führen automatisch zur Reduktion von CO2-Emissionen. Der dadurch entstandene Anstieg des Stromverbrauchs wird natürlich mit Strom aus Erneuerbaren gedeckt werden müssen. Auch hier reichen technische Massnahmen allein – also Umstellung – nicht aus. Der Verkehr kann auch sinnvoll reduziert werden. Städte und Agglomerationen setzen in Zukunft auf Velo und ÖV und bauen diesen mit geschickten Strategien aus, sodass der Energieverbrauch im Verkehr gesenkt werden kann. Gerade in Basel ist das Beispiel Verkehr auffallend. Basel will Velostadt sein, vergisst die Velospur aber bei aufwändigen und millionenschweren Strassenbauprojekten. Basel will ÖV-Stadt sein, schafft es aber als wohl einzige grosse Schweizer Stadt nicht, eine richtige Parkraumordnung einzuführen oder schaut tatenlos zu, wie die Grenzgänger aus dem nahen Frankreich und Deutschland den Modalsplit (die Aufteilung nach Verkehrsmittel) verunstalten. Aber ich bin überzeugt: Ist der Energiepreis wie vorher beschrieben der echte Preis, wird sich das einfacher realisieren lassen, weil sich niemand mehr leisten kann, teure Treibstoffe mit einem Offroader zu verschleudern. Meine Vision: Die Schweiz baut sich ein nachhaltiges Mobilitätssystem. The survival of the cleverest Meine letzte Vision erscheint im ersten Moment etwas weg von der Thematik. Aber auch die hat mit Energie zu tun. 2050 gilt nicht mehr: The survival of the fattest (wie das eine Statue im letzten Dezember neben der Meerjungfrau von Kopenhagen darstellte), sondern of the cleverest. Es wird nicht mehr möglich sein, dass wir unseren Wohlstand auf dem Rücken der Ärmeren ausleben. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir keine Energiekrise mehr haben, sondern Energiekrieg – ein Krieg um Nahrung, Wasser, Ressourcen – eben Energie. Zum Schluss Eine Vision fehlt zum Schluss noch: 2050, als Grosseltern, werden wir den Kopf schütteln, dass wir noch um Offroaderverbote oder Laufzeitverlängerungen von AKWs gestritten haben, so wie wir heute den Kopf schütteln, dass jemals jemand gegen den Katalysator sein konnte. Wir werden zurückdenken, wie wir Unterschriften für Initiativen wie „Weg vom Öl“ (Grüne BL), Cleantech usw. gesammelt haben und uns fragen, warum der Mensch nicht schneller gescheiter wird.