Mehr Frauen in die Politik!

15. Jun 2019

Mehr Frauen in die Politik!

Meine Rede zum Frauenstreik vom 14. Juni 2019 auf dem Place Georgette Pythonne.

Liebe Frauen, liebe solidarische Männer!

Als ich mit 25 in den Grossen Rat Basel-Stadt kam, gehörte ich zu den jungen, motivierten und selbstbewussten Frauen, die überzeugt waren, dass wir keine Frauenbewegung mehr brauchen, dass mir alle Möglichkeiten offen stehen und ich die gleichen Chancen habe, wie meine männlichen Kollegen.

Bald darauf nannte mich ein Grossratskollege dann zum ersten Mal «Meidli» - Mädchen. Ich war das nette Mädchen von nebenan, das zufällig in den Grossen Rat nachrückte aber nicht eine Politikerin, mit der Mann sich auf Augenhöhe sah. Es war nicht das letzte Erlebnis dieser Art.

In den Verwaltungsräten, in denen ich sass und sitze, ist es mir zum Beispiel unzählige Male passiert, dass ein Vorschlag von mir für utopisch, unrealistisch oder nicht kompetent abgetan wurde. Sobald derselbe Vorschlag später von einem Kollegen eingebracht wurde, war er innovativ, vorausschauend und vernünftig und wurde selbstverständlich sofort akzeptiert.

Ich bin ab und zu bösem Sexismus begegnet – viel öfter hingegen nettem Sexismus. Es hat eine Weile gedauert, bis ich die netten Kommentare der älteren Herren zu meiner Kleidung oder meinem Aussehen – jedoch kaum zu meiner Kompetenz oder meinem Wissen einordnen konnte und merkte, dass es eben auch eine nette Art von Sexismus gibt, dass diese aber genau so wenig angebracht ist.

Und deshalb – weil ich in meinen über zehn Jahren politischer Karriere immer wieder merken musste, dass ich nicht automatisch die gleichen Chancen habe, dass ich mir meine Glaubwürdigkeit hart erarbeiten muss und dass ich nicht gleich ernst genommen werde wie meine teilweise sogar jüngeren Kollegen, deshalb ist mir heute sonnenklar: es braucht eine starke Frauenbewegung! Es braucht Euch! Wir wollen an unserer Kompetenz gemessen werden, nicht an der Rocklänge.

Mein aktuellstes Beispiel für die Ungleichbehandlung von Mann und Frau: Eine Frau, die im Mutterschaftsurlaub ist und Erwerbsausfallsentschädigung erhält, riskiert die gesamt Mutterschaftsentschädigung zu verlieren, wenn sie an einer Parlamentssitzung teilnimmt, das schreibt das Bundesgesetz über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft vor. Das gleiche Gesetz erlaubt einem Militärdienstleistenden Urlaub für die Ausübung seines politischen Mandats zu nehmen, ohne dass er irgendein Risiko eingeht, seine Erwerbsausfallsentschädigung zu verlieren.
Ich finde ganz klar: Eine Parlamentarierin soll die Möglichkeit haben, an wichtigen Abstimmungen teilzunehmen, ohne zu riskieren, ihre Entschädigung zu verlieren. Vielleicht hat als das Gesetz geschrieben wurde, noch niemand daran gedacht, dass auch Mütter mal in einem Parlament sitzen könnten. Heute ist das glücklicherweise Tatsache und wird hoffentlich immer häufiger werden. Es ist also dringend nötig, das Gesetz anzupassen! Die Antwort des Staatsrats auf eine Anfrage im Grossen Rat, ob er dieses Anliegen unterstützt, mehr Frauen in die Politik zu bringen, kam vor einigen Tagen: null Hinweis darauf, dass irgend eine Relevanz haben könnte; null Anzeichen für irgend ein Problembewusstsein. Eine Haltung, wie sie von einem Männergremium aus den 60-er Jahren stammen könnte!

Damit es in der Politik ein Umdenken zu mehr Gleichberechtigung gibt, kann ich Euch sagen: Wir brauchen mehr Frauen in der Politik!!!!
Im Kanton Fribourg haben wir Frauen genau eine Vertreterin im Staatsrat (14,3%). Von 110 Grossratsmitgliedern sind nur 34 Frauen (30%). In den Freiburger Gemeinderäten gibt es 25% Frauen und in den Generalräten 29%. Das reicht einfach nicht – wir brauchen mehr!

Und im Nationalrat – auch da sind es nur 30% - erst recht. Und zwar nicht nur bei Linken und Grüne, sondern auch in bürgerlichen Parteien! Gegen den Entscheid von Nationalratspräsidentin Marina Carobbio, für den Frauenstreik heute 15 Minuten Sitzungspause zu machen, gab es aus dem rechtsbürgerlichen Lager tatsächlich Widerstand. Für ein WM-Fussballspiel hingegen wollten die gleichen Leute vor einigen Jahren die Sitzung zwei Stunden unterbrechen!!! Wäre es für ein Frauenfussballspiel gewesen, hätte man ja noch darüber diskutieren können.

Deshalb liebe Frauen – liebe solidarische Männer, wählt Frauen! Und, liebe Frauen, macht selber Politik! Wir brauchen Euch!

 

14. Juni 2019, Mirjam Ballmer
Grossrätin Grüne Freiburg